Vegetarismus und Veganismus sind bekanntermaßen seit Jahrzehnten wesentliche Themen im Wertekanon der Hardcore-Szene. Unter ersterem versteht man den Verzicht auf den Verzehr lebender Tiere (deren Produkte werden jedoch konsumiert) während letzterer per Definition einen kompletten Verzicht auf tierische Produkte darstellt.
Neben der Gesellschaftskritik und dem Straight-Edge-Gedanken wird kaum ein Thema so häufig in Songtexten angesprochen wie diese beiden Ernährungsweisen und die Anerkennung von Tierrechten. Gipfelte das Ganze in den 90er-Jahren in militanten Bands wie EARTH CRISIS und der Hardline-Bewegung, wird dem Vegetarismus heutzutage nicht nur innerhalb der Szene häufig der Stempel „Trend“ aufgedrückt. Auch in den Medien wird der Fleischverzicht immer häufiger thematisiert. Allerhöchste Zeit, ihn auch mal durch eine Kolumne bzw. eine Buchrezension auf Allschools genauer unter die Lupe zu nehmen:
Dokumentationen wie „Earthlings“ oder „We Feed the World“ kennt wahrscheinlich fast jeder, der etwas mit Hardcore am Hut hat. Diese Filme schockieren vor allem durch die dort aufgezeigten Zustände in der Massentierhaltung , durch zusammengepferchte Schweine, am Hals aufgeschlitzte Rinder sowie durch Küken, denen der Schnabel abgefräst wird oder die gleich nach der Geburt wieder getötet werden. Durch diese Macht der Bilder werden beim Betrachter enorme Emotionen freigesetzt, denen sich sicher niemand entziehen kann – entweder ist man hier angeekelt und schaltet ab oder man schaut schockiert zu und lässt sich (hoffentlich!) die Augen öffnen. Wir wachsen derzeit in einer Gesellschaft auf, in der meist alles verdeckt gehalten wird, was vor der fertigen und abgepackten Wurst im Supermarkt bei der Fleischerzeugung mit den Tieren passiert. Nach wie vor werden die meisten Kinder in dem Glauben erzogen, es sei völlig normal, Fleisch zu essen – und da gibt es in vielen Familien auch überhaupt keine Diskussion. Nicht mal ein Gedanken wird daran verschwendet, dass an dieser Haltung etwas verwerflich sein könnte. Schließlich erinnert das in Verpackung eingeschweißte Fleisch im Supermarkt kaum noch daran, dass das mal ein Lebewesen gewesen ist. Bei mir kam die Auseinandersetzung mit dieser Frage erst im Alter von 17 Jahren, als ich zunehmend Konzerte besuchte und auch mal von Veganern zu diesem Thema angequatscht wurde. Nach einem gescheiterten ersten Versuch wurde ich zum Vegetarier und konnte seitdem der Anzahl an Gleichgesinnten in meinem Freundeskreis beim Wachsen zusehen – nicht dass ich da selbst groß nachgeholfen hätte oder meine Freunde unter diesem Gesichtspunkt auswähle. Aber ich habe die Erfahrung gemacht, dass oft die bloße (ernsthafte!) Auseinandersetzung mit dem Thema „Fleischkonsum“ zu einer veränderten Meinung führte. Kann man das als Trend bezeichnen? Ich bin ja der Meinung: Nein! Das wäre zu einfach! Vegetarismus und Veganismus sind vielmehr tiefgreifende Veränderungen im Alltag einer Person und bringen zunächst enorme Einschränkungen mit sich, so zum Beispiel, wenn man zum Essen ausgeht. Vor allem der Veganismus funktioniert eigentlich nur dann richtig, wenn man sich ernsthaft mit dem Thema Ernährung, mit dem Kochen und den Produkten, die es auf dem Markt für Veganer gibt, auseinandersetzt. All das erledigt sich also nicht mit einem bloßen Fingerschnippen, sondern bedarf einer bewussten Änderung der eigenen inneren Haltung!
Kommen wir jedoch nun zu dem Buch. Jonathan Safran Foer, der eigentlich eher durch seine Romane „Alles ist erleuchtet“ und „Extrem laut & unglaublich nah“ Aufmerksamkeit auf sich zog, entschloss sich, anlässlich der Geburt seines Sohnes ein Sachbuch mit dem schlichten Titel „Tiere essen“ zu schreiben – worum es darin geht beschreibt der Titel trotzdem treffend. Anders als Autorenkollegen wie Richard David Precht widmet Foer der Sache nicht nur ein Kapitel, sondern stellt sich selbst mit einem 400 Seiten dicken Buch die Frage: Welche Werte soll ich meinem Kind im Bezug auf Ernährung von klein auf an vermitteln? Seine Eltern machten sich scheinbar weniger Gedanken darum, denn bevor der Autor seine Recherchen begann, aß auch er Fleisch. Angesichts des wichtigen und brisanten Themas wollte Foer keine halben Sachen machen und schaute sich (in vielen Fällen natürlich illegal) mehrere Massentierhaltungsbetriebe und Bauernhöfe in den USA an, sichtete eine Menge Studien und konsultierte die wichtigsten Experten auf dem Gebiet. Dabei herausgekommen ist eine akribisch genaue Beschreibung der momentanen Zustände in den Vereinigten Staaten, die sich sicherlich auch sehr gut auf die Situation in Europa übertragen lassen. Und genau diese Detailverliebtheit ist es, die das Buch so interessant macht und die so schockiert: Wusstest du, dass in einer typischen Legebatterie jedes Huhn etwa 0.043 m² Platz (das ist ungefähr eine halbe DINA4-Seite) zur Verfügung hat? Dass für die Ernährung des Durchschnitts-Amis insgesamt 21.000 Tiere sterben? Wusstest du, dass weniger als 1% Prozent aller für die Fleischproduktion geschlachteten Tiere in den USA noch von Familienbetrieben stammt?
Ich nicht. Hält man sich einmal die Lebensweisen der Tiere vor Augen, die Foer beschreibt, fällt es recht leicht, sich zu entscheiden: Die Hölle auf Erden hat einen Platz, und in ihr leben derzeit Milliarden (und das sind noch nicht mal annähernd genug Nullen hinter der 1) von Lebewesen. Es wäre besser für diese Tiere, sie wären gar nicht erst geboren. Für den Fall des noch lebenden halben Hähnchens bzw. der Chicken Nuggets sollte man sich als Mensch einfach mal vorstellen, wie ätzend man es finden würde, wenn ein Fahrzug mit 20 Leuten gefüllt ist, man kaum einen Schritt machen kann, dieser dann stehen bleibt und man eine halbe Stunde nicht heraus käme. Die meisten würden da nach wenigen Minuten ausrasten. Und das ist gegenüber der Realität, die Foer beschreibt, noch ein sonniges Paradies – eigentlich müssten da noch Exkremente und zertrampelte Artgenossen den Boden bedecken und man würde so eng aneinander stehen, dass manche mit den Füßen in der Luft hingen und dazu ein beträchtlich großer Teil der Passagiere noch krank und alle davon genetisch so vorbelastet sein müssten, dass sie das Gewicht ihres Rumpfes kaum auf ihren schwächlichen Beinen halten können. Wie kann es solche Zustände in einer weltoffenen und problembewussten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts geben? Ganz einfach: Billiges Fleisch verkauft sich gut. Zieht man von dem 1€, den man für einen Cheeseburger im McDonalds zahlt die beiden Brötchen, Salat und Soßen, sowie Herstellungs-, Transport- und noch viele weitere Kosten ab, wie viele Cent kostet denn dann noch die Rinderbullette? Wie weit kann man den Preis für ein Tierleben noch absenken, um den Profit immer weiter zu maximieren?
Doch „Tiere essen“ ist ein vielseitiges Buch. Nicht nur die Situation des Geflügels, der Rinder und der Schweine, auch die der Fische und anderer Meeresbewohner wird beschrieben. Der Autor beschränkt sich außerdem nicht nur auf die Beschreibung des Ist-Zustandes, sondern thematisiert auch die Implikationen für uns als fleisch- und fischfressende Menschen (Stichwort Gesundheit, Vogel-/Schweinegrippe, Antibiotika), die Folgen also, die der Konsum für unsere Umwelt hat (Stichwort Klimawandel) und bietet Erklärungsansätze dafür, warum der Carnivorismus so in unserer Kultur verankert ist (in Asien ist das beispielsweise ja deutlich anders). Zudem legt er dem Leser nahe, was ein jeder tun kann, der diese durch Profitgier kreierte Fleisch-Maschinerie nicht länger akzeptieren möchte respektive will oder kann.
Unter dem Strich ist „Tiere essen“ ein fundierter und sehr übersichtlicher Einstieg in das Thema Vegetarismus/Veganismus. Auch Leuten, die überzeugte Fleischesser sind und es auch bleiben wollen, lege ich dieses Buch ans Herz. Denn wer ernsthaft über dieses Thema diskutieren will, sollte gesicherte Fakten kennen und nicht blind obsoleten Mythen à la „Milch ist gesund“ oder „Veganismus = Mangelernährung“ nachhängen. Leider bekomme ich immer wieder mit, wie beide Fronten sehr verständnislos miteinander umgehen und ein gelassener Austausch kaum möglich scheint. Es handelt sich zweifelsohne also um ein Thema, das einen emotional gesehen nicht kalt lassen kann, da es jeden in die Verantwortung zieht. Viele gehen damit leider nur so um, dass sie lediglich einen blöden Kommentar vom Stapel lassen oder schlichtweg auf taub schalten. Es braucht demnach keinen Nostradamus, um den Shitstorm im Gästebuch unter dieser Kolumne zu prophezeien. Natürlich gibt es da auch Ausnahmen und sehr „verständnisvolle“ Allesfresser. Ich frage mich jedoch regelmäßig, wieso mir eigentlich so oft gesagt wird „Ich akzeptiere ja, dass du Vegetarierer bist“ obwohl ich doch eigentlich derjenige bin, der akzeptiert, dass jemand in Hülle und Fülle für sein Wohlbefinden gestorbene Tiere in sich hineinschiebt. Und um ehrlich zu sein, ist mir noch kein gutes Argument pro Fleischkonsum zu Ohren gekommen. „Es schmeckt halt“ – natürlich tut es das. Hat es mir auch mal. Aber das allein kann niemals die Contra-Argumente aufwiegen, die für mich persönlich in die Hunderte gehen!